"Junge, du lernst dein Leben lang. Auch ich lerne jeden Tag."
Nachdem Ich (Vau_Twin) letztes Jahr meinen Führerschein für den 2-rädrigen Untersatz mit stolzen 29 Jahren in einem Crashkurs erfolgreich bestanden und mir relativ schnell ein eigenes Motorrad gekauft hatte (Suzuki SV 1000S BJ2004)), schaute ich schon früh, auch auf Tipp meines Fahrlehrers hin, nach einem Motorradtrainingskurs. Ich hatte schon vor vielen Jahren einen Kurs für das Automobil absolviert und war nicht nur während des Kurses und kurz danach, sondern bis heute überzeugt von der Sicherheit, die dort vermittelt wird. Zwar habe ich aufgrund meines Berufes in meinen 12 Jahren mit dem Auto auch schon 400.000 km auf dem Buckel und so ziemlich jede wilde Sache erlebt, was sich vielleicht auch auf das vorausschauende Fahren positiv auswirkt. Aber man sitzt nun doch nicht jeden Tag auf dem Motorrad, im Gegensatz zum Auto. Und selbst wenn...das Auto hat eine Knautschzone. Das Motorrad auch, nur ist die Knautschzone da der Fahrer.
Damit verbunden will ich eine Tatsache gleich vorweg nehmen, die sich im Text selbst nochmal begründet: Dieser Kurs ist Pflicht für jeden Motorradfahrer, egal wie lang er schon fährt. Das ist meine unumstößliche Meinung. Jetzt aber zur Sache:
Die Anreise von Hamburg nach Lüneburg verlief problemlos. Noch einmal kurz tanken und dann auf das ADAC Gelände. Wir waren 10 Teilnehmer und um 11 Uhr ging es im Unterrichtsraum los. Die beiden Instruktoren und die Teilnehmer stellten sich, Ihre Fahrpraxis und Ihre Maschinen vor. Nach kurzer Thematisierung von Extremsituationen, die wir bereits erfahren hatten und der an den Kurs gesetzten Erwartungen ging es um halb 12 mit einem kurzen Technik-Check-Up schon in die Praxis. Wer sich an die Fahrschule erinnert...so ne Art Abfahrtskontrolle...dazu gab es das Hilfswort "BEWÖLKT": B remsen, E lektrik, W asser, Ö l, L uftdruck, K ette/Kardanwelle, T ank. Wer das bedenkt, der hat vor jedem Fahrantritt eine technisch sichere Maschine.
Dann ging es mit der ersten Fahreinlage los. Noch relativ gemütlich aber zügig fuhren wir den Parcours ab und staunten nicht schlecht über die doch anspruchsvollen Kurven. Der Kurs ist kurz aber bietet alles, dazu jedoch später.
Bis zur Mittagspause um 14:15 Uhr ging es um Grundlagen, bei denen einige schon ins Schwitzen kamen. Hierzu gehörte zunächst das langsame Slalomfahren bzw. durchfahren von Toren, die durch "Hütchen" gekennzeichnet waren. Vorher noch kurze Turnübungen auf der Maschine. Diese sehen schwerer aus, als sie tatsächlich sind. Sie schulen aber das Gleichgewicht und den Kontakt zur Maschine.
Es wurde immer wieder Erklärt, wie die Technik beim langsam fahren zu verbessern ist: Blick weit nach vorn, Bremse hinten betätigen, Gewicht bei langsamen Kurven etwas nach außen verlagern und dabei den Kopf in die Richtung drehen, in die man will, aber niemals nach unten schauen.
Zur Abwechlung gab es dann schnelles Slalomfahren und Ausweichen vor Hindernissen, zunächst noch ohne Bremse oder Kupplung ziehen; Bilder und Erfahrungen schaffen, lautete die Devise.
Als etwas umgebaut wurde, befuhren wir erneut den Kurs...jetzt schon um einiges zügiger und ich sah, dass ich die Maschine um vieles weiter in die Kurve legte, als ich es bis dahin je getan hatte. So langsam tastete ich mich sogar an den Hang-Off.
Beim immer schnelleren Slalomfahren wurde ich dann korrigiert, meine Füße waren viel zu weit vorn auf den Fußrasten. Dadurch hatte ich fast Bodenkontakt. Ein AHA-Erlebnis der besonderen Art, bis dahin hatte mir das niemand gesagt. Und als ich mich korrigierte, stellte ich fest, dass ich ein viel besseres Gefühl für das Motorrad hatte. Es folgten noch einige weitere Übungen im langsam fahren, die ich als äußerst lehrreich empfand. Dann ging es zum Bremsen, Bremsen, Bremsen. Vorne, hinten, gleichzeitig...wir sollten den idealen Bremspunkt finden, egal ob mit oder ohne ABS. Dieser ist kurz vor blockierenden Rädern. Der Unterschied im Anhalteweg war enorm. Dazu immer wieder Slalom und auch Bremsen mit Ausweichen. Danach das Ganze auf nassem Untergrund...und auweia...kein längerer Bremsweg....der nächste AHA-Effekt. Fahren und Bremsen, ob nass oder trocken, ist bis auf bestimmte Feinheiten das Gleiche. Bei Nässe ist Bremsen in der Kurve natürlich tödlich. Aber auf gerader Strecke heißt es "voll rein, nicht zögern". Nach einer erneuten 15 Minütigen fahrt um den Parcours (jetzt noch schneller und actionreicher) hieß es Mittagessen, das nebenbei bemerkt, durchaus lecker war.
Um 15:00 Uhr ging es weiter, wir kamen zu den Techniken...sprich Legen, Drücken, Lenkimpuls. Wieder alles hervorragend erklärt. Die theoretischen Anteile wurden nie künstlich in die Länge gezogen. "Selbst erfahren, was wann wie passiert...aber nicht übertreiben" hieß es. Wir wurden korrigiert und fuhren erneut. Zum Abschluß wieder der Parcours, der uns allen ein riesiges Grinsen unter den Helm zauberte.
Nach einer kurzen Kaffeepause ging es um 17:00 Uhr dann richtig "RUND". Kurventechnik, mein heiß ersehntes Thema. Es ging wieder um den Parcours, jetzt richtig zügig, die Maschine heulte regelmäßig auf und auf den kurzen Geraden erspähte ich doch tatsächlich hier und da eine 130 auf dem Tacho. Dann auf die Rundbahn. Paarweise gegenüber im Kreis fahren und richtig in Schräglage kommen hieß es. Die anderen schauten zu und wurden auf die Fehler hingewiesen. Als alle einmal durch waren, kurzes Feedback und Erklärungen zu den Unterschiedlichen Techniken: Legen, Drücken und Hang-Off...dann noch eine Besonderheit, ein Mittelweg zwischen Hang-Off und Legen, sehr interessant. Im Anschluß erneut Paarweise um die Rundbahn. Ich hing neben der Maschine und bestätigt war nur noch Platz für ein bis zwei Finger unter dem Knieschleifer. Ich erfuhr die Unterschiede bei den Techniken, wobei eindeutig auf das negative beim Hang-Off eingegangen wurde: Weniger Einblick in die Kurve, viel benötigter Platz, wenig Verbindung zum Motorrad. Der angesprochene Mittelweg ist tatsächlich die beste Technik für den Straßenverkehr für mich. Und wenn eine Kurve übersichtlich ist, geh ich auch mal in den Hang-Off. Er hat eben auch Vorteile.
Danach das für mich wichtigste: Was tun, wenn ich eine Kurve falsch einschätze und mir die Straße ausgeht??? 3 Wege wurden erläutert: Geradeaus schauen, Maschine aufrichten, stark bremsen, wieder in die Kurve...das ist risikoreich und kann klappen, kann aber auch schief gehen. Der nächste Weg heißt Kupplung ziehen...hierbei erreiche ich eine kurzfristig höhere Schräglage, ich muß eigentlich gar nichts machen, der Kurvenradius verringert sich deutlich. Dritter Weg, ich bremse ganz vorsichtig in der Kurve mit der Vorderradbremse. Dabei kam uns das Bremstraining vom Mittag sehr gelegen, wir kannten nun die Bremspunkte. Das Motorrad neigte nun dazu, sich leicht aufzurichten. Durch Lenkimpuls konnte das ausgeglichen werden. Alle drei Manöver sollten gefahren werden und die beste Lösung war leicht gefunden...die Kupplung. Einfach, schnell und zuverlässig. Der Instruktor sprach noch eine vierte Möglichkeit an, das Aufrichten und Flucht nach vorn. Also wenn es mal nicht mehr passt und vor dir ist kein Graben oder Wall sondern Feld, einfach geradeaus, raus aus dem Sattel und langsam abbremsen. Soll tatsächlich manchmal gut gehen, das haben wir aber nicht geübt. Dann wurde noch einmal theoretisch die Kurvenfahrt an sich angesprochen. Was ist Scheitelpunkt, wie fahr ich die Kurve an, wo beschleunige ich erneut etc.
Zum Abschluß ging es knapp eine Stunde lang richtig rund. Mit den nun geübten Kurventechniken ging es in Kugelblitzmanier um den Kurs. Vollgas, Anbremsen, Gewicht verlagern, durch Schikanen, enge und langgezogene Kurven, Berg hoch und runter. Das geführte Fahren gab uns Sicherheit. So weit lag ich mit dem Motorrad noch nie in der Kurve und ich fühlte mich nun sicherer, als jemals zuvor.
Hier noch ein Video, das die Strecke zeigt. Allerdings waren wir doch deutlich schneller unterwegs als im Video. Die Orange-Schwarze KTM war übrigens auch mit dabei. Der Fahrer heißt Gerd und seine Knieschleifer sind inzwischen mehr Schwarz als Orange
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Es war kurz vor 19 Uhr, als wir die Strecke verließen und wir doch deutlich müde waren. Noch einmal Unterrichtsraum, alle wurden um ein Fazit gebeten. Die Meinung war einstimmig. Selbst die "alten Hasen", 30 Jahre im Sattel und hunderttausend Kilometer gefahren, hatten richtig viel gelernt. Alle kamen heil durch und erhielten die Teilnehmerurkunde, die wohl bei manchen Versicherungen einen Rabatt von ca. 10 Prozent erwirken können. Sie konnten aber nicht sagen, welche.
Fazit: Ich halte den Intensivkurs des ADAC für ein "MUSS" für jeden Motorradfahrer, egal wie lang er schon fährt. Für den ein oder anderen werden sich einzelne Abschnitte vielleicht etwas ziehen, für mich waren das die Brems- und Ausweichmanöver. Da ich diese regelmäßig übe, beherrsche ich sie inzwischen und somit war das einfache Wiederholung für mich. Aber allein diese ungefähr 6 Stunden im Sattel mit Übungen, die man so nie fahren würde, vergrößern die Sicherheit im Straßenverkehr. Das Vertrauen in die eigene Maschine wächst und man erfährt ganz bildlich Grenzen. Die Kurvenfahrten sind der Hammer und ich hab heute zum Test mal den Weg Richtung Zollenspieker genutzt, danach eine kleine Tour mit einer Freundin nach Lüneburg. Es ist Wahnsinn, wie ich mich jetzt auf der Maschine fühle. Wenn ich das Gelernte von der Fahrschule bis gestern mit dem gestrigen Tag allein vergleiche, dann stelle ich fest, dass der gestrige Tag allein mir mehr gebracht hat als alle Tage davor bis zur Fahrschule zusammen. Ich konnte jetzt nicht jede Einzelheit ansprechen. Fahrt hin und überzeugt euch selbst. Das Wichtigste jetzt ist aber: Nicht übermütig werden, Fahrpraxis sammeln. Und der nächste Weg für mich, vielleicht noch dieses Jahr, ist das Kurventraining des ADAC.
Ein letzter Kommentar: Der Motorradführerschein hat 1500 Euro gekostet. Ok, Crashkurs ist etwas teurer, meinetwegen kostet er normal um die 1100 Euro. Der Kurs dort kostet 145 Euro (135 für ADAC Mitglieder). Das ist ein Zehntel des Führerscheins. Ihr bekommt aber das Zehnfache im Vergleich zum Motorradführerschein beigebracht. Einfache Kosten-Nutzen-Relation bringt das Ergebnis...um den Faktor 100 besser als der Führerschein.
Wäre ich Verkehrsminister, ich würde für Auto- und Motorradfahrer innerhalb von 2 Jahren nach Erhalt des Führerscheins dieses Intensivtraining zur Pflicht erklären. Alternativ könnten natürlich auch Anreize, wie z. B. Kfz-Steuererleichterungen oder von Versicherungsseite eine stärkere Verminderung des Beitrags kommen. Viele Unfälle könnten vermieden werden, weil dort gezeigt wird, was Fahren bedeutet; und das nicht mal langsam oder langweilig, ganz im Gegenteil, hochspannend und spektakulär.
Grüße und allzeit gute Fahrt,
Vau_Twin