Durchgeknallt & Illegal
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aus der Zeitschrift PS10-2006
Man mag davon halten, was man will: Das Cannonball ist illegal und gefährlich. Bell dafür: folgender Bericht, den PS von einem anonymen Informanten zugespielt bekat Nennen wir ihn Mr ZZR und werden wir Zeuge einer aberwitzigen Jagd durch Europa.
TEXT UND FOTOS: MR ZZR ■ ÜBERSETZUNG: UWE SEITZ
1. Tag | Calais - Würzburg |
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Wir wissen Bescheid," droht ein sehr ernst dreinschauender Gendarm in Calais. „Ich warne euch: brecht die Speedlimits, und eure Bikes gehören mir. Der Erste, der es versucht, ist der Erste, der heimläuft." Noch erntet er mit diesem filmreifen Auftritt Gelächter von den englischen Motorradfahrern. Willkommen beim Cannonball Bike Run 2006. Während der Vorbereitung hatte ich noch Zweifel, ob es wirklich böse werden könnte. Oh ja, es wurde. Wer glaubt, dass die Begrüßung der französischen Polizei schon alles war, der hatte noch nie mit deutschen Ordnungshütern zu tun. Wohl alarmiert durch die französischen Kollegen, die einem Teilnehmer kurz hinter Calais die Anfahrtskarte für den Startort Würzburg abgenommen hatten, wartete ein riesiges Polizeiaufgebot an der Autobahnabfahrt auf alles, was halbwegs nach Cannonball aussah. Sie machten Fotos von uns, mit und ohne Motorrad, in komplettem Outfit, ohne Helm und checkten die Bikes durch. Einer guckte sich meinen Auspuff an, ein Rohr, das wie die Fanfaren des jüngsten Gerichts durch AC/DC-Lautsprecher klingt. „Das macht dich arm", schoss es mir durch den Kopf. „Tschüss, Biergeld." Aber der Cop ließ sich ablenken, und ich durfte fahren. Der nächste Tag, es geht über vorgegebene Straßen nach St. Moritz, gleicht einem Räuber-und-Gendarm-Spiel. In Baden-Württemberg setzt uns die Polizei heftig zu. Mehrmals stoppt sie mich, verdonnert mich aus fadenscheinigen Gründen zu Strafen, droht mir, das Bike zu konfiszieren. Drei Teilnehmer wurden ihr Motorrad tatsächlich los. Schließlich überholen mich vier Finnen bei einer dieser Kontrollen und fahren, nach einer relativ härm losen Durchquerung der Schweiz, den Tagessieg ein. |
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2. Tag | Würzburg - St. Moritz |
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Tag 2, es geht nach Venedig. Wieder machen die Finnen das Tempo. Sie fahren im Team. Aber während sie ihre Stärke im Durchschlängeln demonstrieren, in falscher Richtung um Kreisverkehre herum fahren und rote Ampeln überfahren, schwächeln sie auf kurvigen Bergstraßen. Dean - ein Landsmann auf einer ZX-10R und ich überholen den Haufen hier mühelos und schwingen unbehelligt die Berge hinauf und hinunter. Bis der Kolle in einer scharfen Rechts schlingert und mit 80 Sachen geradeaus einen Feldweg hinab brettert. Ich winke ihm ein Goodbye hinterher. Durchatmen, es ist nass das Terrain für die schwere ZZR. Jetzt kann ich das Tempo bestimmen. Bis in einem dunklen Tunnel die ZX-10R wieder an mir vorbeischießt. In einer Baustelle kracht der Typ schließlich in eine Absperrung. Während ich sicher stelle, dass außer einer arg lädierten Kawa nichts passiert ist, zischen die Finnen vorbei. Sie sind zwar bald wieder eingeholt, aber die Straße wird immer enger. Keine Chance für die ZZR - nach ein paar Remplern muss ich die Skandinavier ziehen lassen. Doch sie machen einen kapitalen Fehler: Sie verpassen die letzte Tankstelle für etliche Kilometer. Mit meiner frisch befüllten ZZR treffe ich sie bald wieder: Sie kommen mir entgegen, den Berg hinunter, Tank leer. Ha, ihr Loser, das sind mindestens 10 Minuten Vorsprung für mich. Nach drei Stunden und Tankstops, die jeden Le-Mans-Fahrer neidisch machen würden, erreiche ich den letzten Gipfel des Tages und gönne mir einen kleinen Halt. Ein paar ältere Biker aus Deutschland stehen herum und mustern meine Maschine. Ich frage sie, ob vielleicht schon andere Cannonballer durchgekommen seien, und ernte eine Tirade über „Arschlöcher, die alle Biker in den Dreck ziehen." Der Typ wird immer ausfälliger. Ganz aus Versehen heult meine Kawa auf. Rot wie eine Tomate brüllt er weiter, bis ich mit quietschendem Reifen losfahre - hey, wenn schon asozial und kriminell, dann richtig. Auf der Autostrada laufe ich mit Tempo 300 auf einem weißen Alfa auf. Ich rieche Öl, der Kerl fährt volle Pulle. Aber statt Platz zu machen, winkt er wild. Ich drücke mich in einem Tunnel irgendwie an ihm vorbei, als er eine Kelle zückt. Poliza, Mist! Er verfolgt die Finnen, die mich irgendwo unbemerkt überholt haben müssen. Tagesbilanz: Team Finnland und die Cannonbal-ZZR gemeinsam auf Platz 1. |
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3. Tag | St. Moritz - Venedig |
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Der nächste Tag, Ziel ist Zagreb. Wieder brettern die Finnen wie die Gestörten durch den Berufsverkehr, über rote Ampeln und blockierte Kreuzungen. Ich kann nur dranbleiben, weil sie immer wieder die Karte studieren müssen.
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Gearbeitet wurde mit allen Tricks: Betanken aus Kanistern während der Fahrt war noch unbedenklich und harmlos. |
4. Tag | Venedig - Zagreb |
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Die zerstörte ZX-10R von Dean, sie war bei Weitem nicht das einzig geopferte Motorrad. |
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Mit einem Bonus von vier Minuten wegen Fotostopps für den Veranstalter geht es am vierten Tag mit acht Minuten Rückstand in die letzte Runde - nach Salzburg. Die Taktik der Finnen wird mir schnell klar, als sie sich einfach an mich hängen: Solange wir gemeinsam ankommen, haben sie gewonnen und stauben die kostenlose Teilnahme am Cannonball USA ab. Also muss ich sie loswerden. In der Stadt geht das nicht. Auch die Versuche auf der Umgehungsstraße schlagen fehl. Dann kommen verschmutzte Landstraßen, und der Ehrgeiz treibt mich soweit, die Finnen in Situationen zu bringen, in denen sie stürzen könnten. Die ZZR zappelt mit dem Hinterrad, die Finnen geben alles. In einem Dorf komme ich an einem Auto vorbei, das an einer Einmündung gerade anfährt. Drei Finnen schaffen es, der vierte nicht. Eine schwarze ZX-IOR fliegt im hohen Bogen in den Graben. „Hey, ist euer Freund", denke ich und gebe Gas. Zu meiner Überraschung, meinem totalen Entsetzen und meiner grollenden Bewunderung folgen sie mir trotzdem. Die Sache wird ernst. Als ich sie partout nicht abschütteln kann, nehme ich das Tempo raus und überlege: „Was würde Burt Reynolds tun?" An der Grenze zu Slowenien stecke ich einen Schein in meinen Pass und reiche ihn dem Zöllner. „Wie wäre es, wenn Sie meine Freunde ein bisschen aufhalten. Wir haben eine Wette, und sie schmuggeln Koks - im Hintern." Er lacht sich kaputt. Dann sagt er, er könne das für mich tun, aber sein Kollege habe die anderen gerade durchgewinkt. Scheiße! Schneller, als der Zöllner gucken kann, hab ich den Pass und die Kohle wieder im Tankrucksack und sprinte hinterher. Ich werde sie einfach nicht los. Zeit für den zweiten Burt-Reynolds-Pan. Ich mache langsam, als wir uns einer Tankstelle nähern. Theatralisch gehe ich durch den Routenplan und vergleiche die Reichweitenanzeige. Zündung aus, Schlüssel noch im Rollen abgezogen und Tankdeckel aufgemacht, fahre ich an die Säule - die Finnen hinterher. Ich nehme den Stutzen und halte ihn in den Tank, ohne zu drücken. Als die Zapfsäule der Finnen läuft, hänge ich den Stutzen zurück werfe meine Kiste an, recke drei fassungslosen Gesichtern den Mittelfinger entgegen und rausche davon. Mein Tank ist noch fast voll, als ich nach Österreich komme.
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In Italien forderte die stark getunte ZZR einen neuen Reifen. |
5. Tag | Zagreb - München |
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The winner takes it all ... Mr ZZR und die Trophäe für den dritten Platz. |
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Kurz vor der nächsten Kreuzung blicke ich in den Rückspiegel. Schweißausbruch: Hinter mir klemmt ein schwarzer BMW mit Blaulicht im Kühlergrill. Ich könnte kotzen, jetzt ist es richtig ernst, Gas weg. Mein Hirn fährt Achterbahn. Anhalten? Abhauen? Runter in den vierten Gang. Im Rückspiegel sehe ich einen schwarzen Strich und einen zurückfallenden BMW. Verkehr, ich bräuchte jetzt Verkehr. Da, Wohnmobile. Ich überhole auch in blinden Ecken. Der BMW ist weg. Und jetzt volle Pulle.
Der Verkehr nach Salzburg wird immer dichter, kommt zum Erliegen. Ich drücke mich durch und ... sehe eine Straßensperre. Mit einer Hand am Pistolenhalfter und einer zum Halt-Zeichen erhoben, rennt ein Polizist auf mich zu. Aber sie haben eine Lücke gelassen. Ich gebe Gas und bin durch. Ich fliehe in einen Wald und rufe den Veranstalter an: „Ich bin raus, das ist alles Dreck. Ich hab verloren, nach Salzburg kann ich nicht kommen." Umgezogen und mit umgedrehtem Nummernschild laufe ich dann doch noch das Ziel an. Es war mir gelungen, unbehelligt nach Deutschland rüber und von dort nach Salzburg zu fahren was sehe ich, 700 Mete vor der Ziellinie Die finnische Ducat 996,total zerbröselt, Rahmen, Räder und Schlüsselbein gebrochen. – in der allerletzten Kurve. Aber die zwei anderen Finnen sind im Ziel, knapp eine Stunde vor mir. Sie haben gewonnen. Gemeinsam fahren wir seelenruhig zur Abschlussfeier nach München. Noch nie habe ich so viel Bier getrunken. |
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Richtig Glück gehabt hat der Finne mit der schwarzen ZX-10R. Während die in Slowenien zu Bruch ging, blieb er unverletzt. |
CANNONBALL-KAWASAKI ZZR 1400 Ihre Power erhielt die Cannonball-Kawasaki ZZR 1400 nicht nur von einem Powercommander und einem Zubehör-Auspuff; der Tuner entnahm der ZZR den zweiten, ausschließlich vom Bordcomputer gesteuerten Satz Drosselklappen. Dadurch legte die Kawasaki besonders beim Drehmoment auch in unteren Drehzahlen erheblich zu: plus 40 Nm bei 3000/min. Das Mapping wurde mit Rücksicht auf die Ventile sehr genau neu abgestimmt. Allerdings braucht die Cannoball-ZZR jetzt auch bis zu 30 Prozent mehr Sprit. Wie bei James Bond verfügt die ZZR über eine Vielzahl weiterer Tricks: Neben einem Radarwarner findet sich an Bord auch ein Radar-Diffusor, mit dessen Hilfe beispielsweise die Laserstrahlen der handbetriebenen Radarpistolen gestört werden. Eine genaue Erfassung des Motorrades ist so nicht möglich. |
Zum Cannonball (PS 10) interviewte PS Baden-Württembergs Polizeipräsidenten Erwin Hetger. |
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Rennen wie das Cannonball über öffentliche Straßen sind illegal. Auf welcher rechtlichen Grundlage kann die Polizei gegen Teilnehmer an solchen Rennen vorgehen?
Die Straßenverkehrsordnung legt eindeutig fest, dass alle Rennen mit Kraftfahrzeugen verboten sind. Ausnahmen davon bedürfen eines Antrags bei den Behörden. Wer ohne entsprechende Genehmigung solche Veranstaltungen durchführt oder daran teilnimmt, handelt ordnungswidrig. Teilnehmer müssen derzeit mit einem Bußgeld von 150 Euro, mit vier Punkten im Verkehrszentralregister und einem Monat Fahrverbot rechnen. Aus meiner Sicht ist besonders das Bußgeld für eine abschreckende Wirkung deutlich zu gering. Wir wollen deshalb erreichen, dass das Bußgeld ähnlich wie in anderen europäischen Ländern drastisch erhöht wird.
Die Polizei war auf die „Rennfahrer" vorbereitet. Hatte sie konkrete Hinweise? Noch gibt es innerhalb der Europäischen Union unterschiedliche Gesetze beispielsweise für Tuning. Können Sie Ausländer etwa wegen diverser Anbauteile verwarnen bzw. festhalten? Wie sind solche Rennen in Zukunft zu verhindern? Wir sind nach jetzigem Stand der Beratungen zuversichtlich, dass solch gefährliche Rennen bald effektiv unterbunden werden können. Wir werden es nicht dulden, dass sich einige wenige gut betuchte Verkehrsrowdys rücksichtslos auf unseren Straßen Rennen liefern. |
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vielen Dank an dieser Stelle von www.motofreak.de |